Placebo- und Noceboeffekte zeigen die Macht der Psyche

08.08.2024

Studien zeigen, dass alternative Heilmethoden nicht stärker als Placebos wirken. Trotzdem sind viele Menschen von deren heilender Wirkung überzeugt. Und auch die Wirkung von Placebopräparaten ist nicht zu unterschätzen.

Die Einen schwören auf sie, die Anderen halten sie für überflüssig. In Gesprächen über alternative Heilmethoden kommt irgendwann der Punkt, an dem darüber diskutiert wird, ob diese selbst wirken oder die Wirkung nur auf dem Placeboeffekt beruht. Unter anderem aus diesem Grund geistern die Begriffe Placebo- und Noceboeffekt immer wieder durch die Presse. Besonders häufig werden sie auch im Zusammenhang mit Medikamentenstudien verwendet. Doch was verbirgt sich dahinter?

Das Wort Placebo stammt aus dem Lateinischen und bedeutet ich werde gefallen. Nocebo bedeutet ich werde schaden. Placebo ist also etwas Gutes, Nocebo etwas Schlechtes. Wenn Scheinmedikamente, sogenannte Placebos (siehe Kasten), körperliche oder psychische Beschwerden bessern, spricht man vom Placeboeffekt. Dabei können die Beschwerden sogar um bis zu 50 % reduziert werden. Der Noceboeffekt bewirkt das Gegenteil.

Aufgefallen ist der Placeboeffekt dem Amerikaner Henry Beecher zum Ende des zweiten Weltkrieges. Als ihm das Morphin ausging, spritzte er den Soldaten für die Operationen stattdessen Kochsalzlösung, natürlich ohne deren Wissen. Die Soldaten beruhigten sich und reagierten ähnlich wie die Soldaten, die Morphin erhalten hatten. Das machte Beecher neugierig. Er führte nach Kriegsende verschiedene Experimente durch und kam dem Placeboeffekt weiter auf die Spur.

In der heutigen Zeit wird der Placeboeffekt häufig als Einbildung beschrieben. Wer nicht daran glaubt, dass etwas hilft, dem wird es nicht helfen! Doch so einfach ist das nicht. Denn der Placeboeffekt wirkt auch, wenn PatientInnen wissen, dass sie ein Scheinmedikament erhalten. Die Wirkung fällt dann allerdings geringer aus. Bei Kindern und Tieren wirkt der Placeboeffekt ebenfalls, weil sich die Erwartungshaltung anderer auf die Kinder und Tiere überträgt.

Begriffserklärungen
Placebo: Sieht aus wie ein Medikament, enthält aber keinen Wirkstoff.
Morphin: Wirkstoff gegen starke Schmerzen aus der Klasse der Opioide.
Opioid-Antagonist: Wirkstoff, der die Opioidrezeptoren im Körper besetzt und so die Wirkung der Opioide verhindert.

Wurde PatientInnen gesagt, dass sie gegen ihre Schmerzen Morphin (siehe Kasten) bekommen, konnte der Placeboeffekt mit einem Opioid-Antagonisten (siehe Kasten) aufgehoben werden. Das zeigt, dass durch den Placeboeffekt körpereigene Opioide ausgeschüttet werden, die an die Opioidrezeptoren binden und Schmerzen lindern. Der Placeboeffekt aktiviert also natürliche Vorgänge des Körpers, die wissenschaftlich nachweisbar sind. Die Wirksamkeit von Placebos ist aus vielen Bereichen bekannt, besonders aus der Schmerztherapie. Aber auch Parkinsonsymptome lassen sich damit bessern.

Die Wissenschaft geht noch weiter. In Untersuchungen wurde herausgefunden, dass die Art des Placebos die Stärke des Placeboeffekts beeinflusst. Zum Beispiel werden Kapseln als stärkeres Medikament wahrgenommen als Tabletten. Spritzen übertreffen dies noch. Generell wird ein Medikament, das gespritzt wird, als stärker wirkend wahrgenommen als Tabletten, Kapseln oder Säfte. Daher lindern wirkstofffreie Spritzen die Symptome bei den PatientInnen stärker als Tabletten. Außerdem hat die Farbe einen Einfluss. Forschende fanden heraus, dass PatientInnen mit Angstsymptomen besser auf grüne Tabletten ansprechen als auf andersfarbige Tabletten.

Können Placebos im Alltag nützlich sein?

Davon, wie hilfreich Placebos im Alltag sein können, erzählte mir ein befreundeter Apotheker. Bei seinem Ansatz geht um Schlafstörungen. Denn gerade verschreibungspflichtige Schlafmittel werden in Apotheken häufig an ältere Personen abgegeben. Das kann problematisch werden, weil die Medikamente das unsichere Gehen verstärken können und somit die Gefahr steigt zu stürzen. Zusätzlich besteht bei älteren verschreibungspflichtigen Schlafmitteln, den Benzodiazepinen, das Risiko der Abhängigkeit. Deshalb sollen diese nicht länger als vier Wochen eingenommen werden. Genau dort liegt das Problem: Viele PatientInnen nehmen die Schlafmittel über Monate oder Jahre und müssen die Dosierung eventuell erhöhen, um dauerhaft gut schlafen zu können. Sie sind abhängig. Zudem brauchen ältere PatientInnen täglich oft mehr als ein Medikament. Diese können mit den Schlaftabletten interagieren.

Für solche Fälle sieht mein Freund Placebos als mögliche Alternative: „Gelegentlich verschreiben Ärzte älteren Menschen mit Schlafstörungen Placebopräparate, um sie von Schlaftabletten zu entwöhnen. Diese sehen wie normale Tabletten aus und helfen ihnen, trotzdem besser zu schlafen.“

Selbsterfüllende Erwartungen

Wie bei klassischen Therapien, können auch bei wirkstofffreien Mitteln Nebenwirkungen auftreten. Wie drastisch diese ausfallen können, zeigt der Fall eines 26 Jahre alten Mannes: Der Mann schluckte 29 Kapseln eines vermeintlichen Antidepressivums. Dabei sank sein Blutdruck stark, er atmete schnell und zitterte. Die ÄrztInnen in der Notaufnahme versuchten ihm mit verschiedenen Therapien zu helfen, doch nichts wirkte. Während dieser Zeit kam heraus, dass der Mann an einer Medikamentenstudie für Antidepressiva teilnahm und der Placebogruppe zugeteilt war. Die behandelnden ÄrztInnen teilten dem jungen Mann mit, dass er wirkstofffreie Kapseln eingenommen hatte. Daraufhin verbesserte sich sein Zustand innerhalb von 15 Minuten. Dieses Beispiel zeigt, dass die Wirkung von Scheinbehandlungen, sei sie positiv oder negativ, auf zwei Säulen fußt, der körperlichen wie auch der psychischen.

Die Wirkung von Therapien wird meist mit einer gewissen Erwartungshaltung in Verbindung gebracht. Der Wissenschaftler Herbert Benson sieht die Erwartungshaltung in drei Bereichen als wichtig für den Erfolg einer Therapie an:

  1. Die Erwartungshaltung der PatientInnen (bin ich zuversichtlich, dass die Therapie hilft?)
  2. Die Erwartungshaltung der Behandelnden (ist der/die ÄrztIn oder der/die ApothekerIn von der Therapie überzeugt?)
  3. Die Beziehung zwischen PatientIn und Behandelnden (halte ich den/die ÄrztIn für kompetent?)

Dass die Erwartungshaltung von PatientInnen in seltenen Fällen sogar zum Tod führen kann, zeigt die Stärke der menschlichen Psyche. Es ist eine sehr tiefgreifende Wirkung des Noceboeffekts. Verschiedene WissenschaftlerInnen berichteten von PatientInnen, die von ihrem baldigen Tod überzeugt waren, obwohl es keinen medizinischen Grund dafür gab. Diese Menschen starben bald darauf.

Es zeigt uns, dass wir die Macht der Psyche nicht unterschätzen sollten und wir mit unserer Einstellung natürliche Vorgänge des Körpers in Gang setzen, die sich positiv oder negativ auswirken können. Wir können Wohlbefinden erzeugen und uns in einem gewissen Maß selbst heilen oder Krankheit erzeugen, die sogar zum Tod führen kann. Diese Auswirkungen sind der Grund, warum in der Wissenschaft die Wirkung von Medikamenten mit der Wirkung von Placebos verglichen wird. Lässt sich in Medikamentenstudien keine Wirkung nachgewiesen, die größer ist als Wirkung des Placebos, gilt das Medikament wirkungslos. Genau das trifft auf viele alternativen Heilmethoden zu.

Literaturverzeichnis

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