
Paracetamol – Was Suizidversuche mit der Packungsgröße zu tun haben
Paracetamol ist ein häufig genutztes Arzneimittel gegen Schmerzen, Fieber oder Erkältungssymptome. Doch schon Paracelsus wusste, dass die Dosis das Gift macht.
Paracetamol wirkt schmerzlindern und fibersenkend und gehört zur Klasse der nicht-opioiden Analgetika, weil der Wirkstoff nicht durch Bindung an die Opioidrezeptoren im Körper wirkt. Der Wirkstoff gibt es freiverkäuflich, ohne Rezept, in den Apotheken zu kaufen. Er kommt alleine oder in Kombination mit anderen Wirkstoffen z.B. in Erkältungsmitteln vor. Doch nur, weil ein Arzneimittel freiverkäuflich in der Apotheke zu kaufen ist bedeutet dies nicht, dass das Arzneimittel völlig bedenkenlos eingenommen werden kann. Denn ein Arzneimittel kann aus unterschiedlichen Gründen aus der Verschreibungspflicht entlassen werden, auch aus wirtschaftlichen.
Nicht grundlos wurde Paracetamol ab einer Packungsgröße von mehr als 20 Tabletten der Verschreibungspflicht unterstellt. Doch warum eigentlich?
Mit gutem Beispiel voran
Bevor Deutschland größere Paracetamolpackungen der Verschreibungspflicht unterstellte, machten es andere Länder wie Großbritannien und Frankreich vor. In Großbritannien wurde bereits 1998 die Menge an Paracetamol pro freiverkäuflicher Packung begrenzt. In den folgenden Jahren gingen die Suizide, die mit Paracetamol verübten wurden, zurück.
Daran nimmt sich Deutschland ein Beispiel. Mit dem Ziel, die Suizidanzahl zu reduzieren, die mit Paracetamol verübt wird, können wir seit 2009 Paracetamol nur in Mengen von bis zu 20 Tabletten pro Packung rezeptfrei in der Apotheke kaufen. Aus demselben Grund ist das Apothekenpersonal dazu angehalten möglichst nicht mehrere Packungen an einen Kunden zu verkaufen, bzw. nachzufragen weshalb mehr als eine Packung benötigt wird. Das Apothekenpersonal kann dann individuell entscheiden, ob es gerechtfertigt ist mehrere Packungen abzugeben.
Paracetamolvergiftung – Ein langsamer Tod
Jedes Jahr begehen Menschen Suizid, bei einem Teil von ihnen bleibt es beim versuchten Suizid. Einige Menschen schlucken viele Tabletten und wollen damit möglichst schmerzfrei sterben. Doch nicht immer gelingt dieses Unterfangen. Denn wenn jemand viele Paracetamoltabletten auf einmal schluckt, winkt nicht der schnelle Tod. Diese Person kann sich mit zu viel Paracetamol vergiften und ganz langsam sterben. Ein gesunder Erwachsener kann nach der Einnahme von mehr als 10 g Paracetamol auf einmal sterben. Dieser Menge gilt gemeinhin als tödlich. Eine vorgeschädigte Leber, Magersucht oder andere Erkrankungen können dafür sorgen, dass eine Vergiftung schon bei einer geringeren Menge als 10 g eintritt.
Das Abbauprodukt des Paracetamols mit dem klangvollen Namen N-Acetyl-p-benzochinonimin wirkt hepatotoxisch. Es wird nur ein geringer Anteil des Paracetamols zu diesem toxischen Stoff abgebaut. Für den menschlichen Körper ist die Menge des toxischen Abbauprodukts meist harmlos. Denn normalerweise sorgt das Glutathion aus der Leber dafür, dass es unschädlich gemacht wird. Doch ist zu viel von dem Giftstoff vorhanden, weil zu große Mengen an Paracetamol eingenommen wurden, reichen die Vorräte an Glutathion nicht aus. Daher greift das N-Acetyl-p-benzochinonimin Strukturen wie Proteine, DNA und ungesättigte Fettsäuren an, was weitere Reaktionen zur Folge hat – die Leberzellen können absterben.
Eine Paracetamolvergiftung macht sich je nach Vergiftungsstadium unterschiedlich bemerkbar. Innerhalb der ersten 24 Stunden kann es üblicherweise zu Appetitverlust, Übelkeit und Erbrechen kommen. In den folgenden Tagen steigern sich die Symptome, es kommen Schmerzen im rechten Oberbauch dazu. Die Vergiftung macht sich in steigenden Werten der Enzyme AST und ALT, abfallenden Gerinnungsfaktoren und ansteigendem Bilirubin bemerkbar. Im 3. Stadium (3. – 4. Tag) können Ikterus (Gelfärbung der Haut und Schleimhäute), metabolische Azidose (Übersäuerung des Blutes), Unterzuckerung, erhöhte Blutungsneigung, Leberversagen und hepatische Enzephalopathie (Funktionsstörung des Gehirns) auftreten. Nach knapp 5 Tagen hat sich die Leber entweder wieder erholt oder die Vergiftung kann zum Multiorganversagen und somit zum Tod führen.
Die Gefahr eines langsamen und qualvollen Todes durch eine Paracetamolvergiftung ist kaum bekannt. Einer meiner ehemaligen Dozenten an der Uni warnte uns, dass ein Suizidversuch mit Paracetamol eine sehr schlechte Idee sei. Unbehandelt würde man qualvoll sterben. Bereut man den Versuch und die Lebervergiftung ist bereits weit fortgeschritten, kann man nicht auf eine Organspende hoffen. Nicht-suizidgefährdete Menschen haben Vorrang. Der Suizidversuch lässt sich also nicht rückgängig machen. Er endet in einem Suizid, aber nicht schnell und schmerzlos.
Therapie
Doch soweit muss man es nicht kommen lassen. In den ersten paar Stunden nachdem zu viel Paracetamol eingenommen wurde, kann zuerst eine Therapie mit Aktivkohle versucht werden. Es bindet das giftige N-Acetyl-p-benzochinonimin aus dem Darm und schleust es über den Stuhl aus dem Körper.
Außerdem gibt es ein Gegenmittel – ein Antidot: Es trägt den Namen N-Acetylcystein und wird hochdosiert als Infusion gegeben. Bei dem N-Acetylcystein handelt es sich um eine Aminosäure. Sie ist ein Vorläufer des Glutathions und wird im Körper zu diesem umgewandelt.
Doch es ist sehr wichtig, dass man das Antidot so früh wie möglich nach der Vergiftung erhält. Liegt die Vergiftung länger als 24 Stunden zurück ist nicht gesichert, ob N-Acetylcystein überhaupt noch etwas gegen die Vergiftung ausrichten kann. Denn das N-Acetylcystein kann nur verhindern, dass weitere Leberzellen geschädigt werden. Es kann jedoch keine Leberzellen heilen. Bei zu vielen geschädigten Leberzellen kann das N-Acetylcystein nichts mehr ausrichten.
Bei Vergiftungsverdacht ruft bitte eine Giftnotrufzentrale an. Auf dieser Seite findet ihr Anlaufstellen: https://www.bvl.bund.de/DE/Arbeitsbereiche/01_Lebensmittel/03_Verbraucher/09_InfektionenIntoxikationen/02_Giftnotrufzentralen/lm_LMVergiftung_giftnotrufzentralen_node.html
Literaturverzeichnis
Voten des Sachverständigen-Ausschusses für Verschreibungspflicht nach § 53 AMG. Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte; https://www.bfarm.de/SharedDocs/Downloads/DE/Arzneimittel/Pharmakovigilanz/Gremien/Verschreibungspflicht/60Sitzung/anlage.pdf?__blob=publicationFile(Stand: 02.10.2022)
Paracetamolvergiftungen. MSD Manual Ausgabe für medizinische Fachkreise; https://www.msdmanuals.com/de-de/profi/verletzungen,-vergiftungen/vergiftung/paracetamolvergiftungen (Stand: 27.09.2022)
Hawton K et. al. Long term effect of reduced pack sizes of paracetamol on poisoning deaths and liver transplant activity in England and Wales: interrupted time series analyses. BMJ. 2013 Feb 7;346:f403.
Taschenatlas Toxikologie. Franz-Xaver Reichl (Hrsg.). 3. Auflage 2009
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